Tag 14 – Mo, 25.01.21

Tag 14 – Mo, 25.01.21

Ich steige einfach mal direkt ins Geschehen ein:
11:00 Uhr – totale Eskalation.
Und wenn ich „totale Eskalation“ sage, dann meine ich das auch so.
Ich eskaliere.
Ich schreie meinen Mann und beide Kinder an.
Dann weine ich hemmungslos.

Der Tag startet eigentlich ganz gut. Nachdem gestrigen Großreine machen ist die Wohnung aufgeräumt und geputzt. Wenn ich Ordnung um mich herum habe, habe ich auch Ordnung im Kopf. Außerdem habe ich mir gestern schon einen Überblick für den heutigen Homeschooling-Tag geschafft, bin also guter Dinge.

Während die Kinder noch frühstücken, gehe ich schon mal runter und fahre drei Laptops hoch. Meinen, Franks und einen Bürocomputer. Und frage mich dabei: „Wie ist das bei anderen Familien, die nicht so gut ausgestattet sind?“ Oder mehr als zwei Kinder haben?

Dann kommt Tochter runter, sie hat wie immer keine Lust. Ich motiviere sie. Zwinge sie? Erpresse sie? Spreche eine Belohnung aus? Keine Ahnung, was ich heute gemacht habe.
*seufz

Während sie Online-Unterricht hat, checke ich MS Teams auf dem dritten Laptop. Klappt auch, Sohn kann also auch in seinen Unterricht (oben in der Küche) starten. Jeder von uns sitzt jetzt also in einem eigenen Raum am Laptop und „arbeitet“.

Eine halbe Stunde später gehe ich hoch in die Küche, Sohn wirkt niedergeschlagen. „Was ist los?“ „Nichts…“ Ich frage ihn, ob irgendwas war. Im Unterricht. Er kuschelt sich an mich: „Neee… ich hab einfach keine Lust.“ „Scheiße“, denke ich, jetzt fängt er auch noch an. Er war letzten Donnerstag schon so unmotiviert. Er ist doch sonst Derjenige, der in der Schule oft die Lernzeit lieber als die Pause mag, weil er gerne arbeitet. Ich versuche, ihn zu motivieren.

Er hat gleich den nächsten Call, zwischenzeitlich ist der Laptop abgeschmiert, weil der Akku leer war. Das Drama nimmt seinen Lauf.
Der Laptop fährt hoch, wir kommen nicht ins Padlet (digitale Pinnwand der Klasse) rein, Fehlermeldung. Ich verstehe es nicht, gleich fängt der Call an! Versuche es an einem anderen Laptop. Gleiche Meldung. Mein Stresslevel ist auf 100. Ich fühle mich unter Druck, weil Sohn schon wieder zu spät zum Call kommt.
Motze ihn an.
Mein Mann kommt dazu. Schreie ihn an. Ich habe keine Muße, um ihm das Problem zu erläutern. Ich kann mich nicht konzentrieren, ich muss eine Lösung finden, erkenne das Problem nicht. Ich bin überfordert, gehe an den dritten Laptop, da funktioniert es.

Sohn geht in den Call rein, die Lehrerin sagt ihm, dass er erst in einer halben Stunde dran ist. Ich renne runter, schaue auf den Plan… und merke, dass ich auf den Stundenplan der letzten Woche geguckt hatte und Sohn tatsächlich zu früh ist.

Ich sitze an meinem Schreibtisch und weine.
Weine, weil ich gerade in kürzester Zeit so überfordert war. Weil ich ungerechtfertigterweise alle angeschrieen. Tochter kommt rein und tröstet mich. Ich weine noch mehr. Mein sechsjährige Tochter tröstet mich, was’n das für ein Scheiß!

Ich gehe nach oben und entschuldige mich. Als erstes bei meinem Mann. Ich finde anscheinend nicht die richtigen Worte, er versteht mich nicht, ein Wort gibt das andere und wir streiten uns.
Okee, ich streite mich. JETZT eskaliere ich.

Unsere beiden wundervollen Kinder, stellen sich vor mich und verbieten mir, mich weiter zu streiten. Ich werde nach unten verbannt, gehe aber mit dem Auto spazieren fahren, muss durchatmen.

Wenn ich das jetzt so rückblickend betrachte und meine geschriebenen Worte lesen, denke ich: „Hmmm, war das jetzt alles so schlimm?“
Ja, in dem Moment war es schlimm. Ich bin innerhalb kürzester Zeit komplett ausgetickt/hochgegangen wie eine Bombe, weil ich unverschuldet in eine Situation gedrängt werde, in der ICH NICHT SEIN WILL.
Und ja, schreien ist NICHT okee.

UND HIER MEINE ERKENNTNIS DES TAGES:
Ist es das Homeschooling wert, dass meine Beziehung zu meinen Kindern darunter leidet?
Nein.
Dass ich darunter leide?
NEIN.
Das mein Mann und ich uns deswegen streiten?
NEIN!

Wir, und damit meine ich ALLE Eltern, sind in eine Rolle gedrängt worden, die wir – fast alle – nicht wollen. Die wir – zum großen Teil – nicht bewältigen KÖNNEN!
Von „wollen“ mal ganz zu schweigen.

Was würde denn passieren, wenn wir Eltern anfangen würden, uns zu weigern? Bekommen wir dann alle einen bösen Brief vom Schulamt? Werden unsere Kinder dann nicht versetzt? Bleiben unsere Kinder dumm? Sorry, jetzt werde ich unsachlich.
Ich bin gerade einfach echt sauer.

Aktuell sieht die Konsequenz des Homeschoolings so aus:
MENTAL gehen unsere Kinder und auch wir Eltern dabei „drauf“. Nicht alle, aber mit Sicherheit ein ziemlicher großer Teil von uns.
(Davon mal ganz abgesehen, dass auch ganz viele Kinder zuhause Not leiden, vielleicht kein liebevolles Zuhause haben oder technisch noch nicht einmal homeschoolen können.)

Wir (also eigentlich das Schulministerium) müssen jetzt mal ganz schnell das Tempo rausnehmen und auf „wir lernen nur noch das Nötigste“ umschalten!
Der Rest wird irgendwie irgendwann nachgeholt.
Und wenn das für Abschlussklassen bedeutet, Stoff zu streichen!

Mir reicht es.
Wir hören jetzt auf damit. Mit dem Druck.
Ich sitze hier und denke über die Konsequenzen nach. Was kann schon passieren?
Unser Sohn ist inhaltlich sehr weit. Unsere Tochter muss lesen, schreiben und rechnen lernen. Sie ist Erstklässlerin. Das kommt schon noch.
Ich übe mit ihr zusammen jetzt täglich maximal eine Stunde. Spielerisch.
Mehr nicht.
Ich erzwinge jetzt gar nichts mehr.

So. Howgh, ich habe gesprochen. 😉

Der restliche Tag verlief dann so erst so lala.
Später dann gut. Nachdem ich mir alles von der Seele runtergeschrieben habe.

Frank und ich haben uns natürlich vertragen. ICH habe mich entschuldigt. Ich liebe ihn dafür, wie er dann den Kindern erklärt, dass das ihre Arbeit ist und mit ihnen vereinbart, dass sie jetzt selbstständig weiterarbeiten… Er macht das auf einem ganz anderem, viel empathischeren Level.
Er sagt aber auch zu mir: „Und wenn sie es nicht schaffen/machen, dann ist das halt so.“ Ich glaube, dagegen habe ich die ganze Zeit innerlich noch angekämpft. Ich sehe das wie er, war aber in der Zwickmühle, es der „Schule recht machen zu wollen.“

Die Kinder haben noch ein bisschen was für die Schule gemacht und wollten dann raus. Das Tagessoll hatten sie da noch lange nicht erreicht.

In dem Moment war ich leider noch zu sehr mit mir und der ganzen mindfucking Situation beschäftigt, dass ich nur meinte: „Macht, was ihr wollt.“ Sie ziehen sich an und rufen: „Wir gehen jetzt Schneereste zusammensammeln!“ „Alles klar, wenn es dunkel wird, kommt ihr bitte nach Hause.“

Während sie jetzt also draußen auf dem Spielplatz wieder irgendwelche tollen Sachen machen, schreibe ich mir hier meinen Frust runter. Und treffe die o.g. Entscheidung.

Wenn sie gleich nach Hause kommen, nehme ich sie feste in den Arm und sage ihnen, wie toll sie sind, werde mich – mal wieder 🙁 – entschuldigen und mir von ihrem spannenden Nachmittag erzählen lassen.

Und noch etwas ist mir heute klar geworden: das Wichtigste an der Schule ist der Austausch untereinander, die Beziehungen zu anderen Kindern, mit anderen Kindern zu spielen. (Hier ein interessanter Artikel dazu.) Ich bin froh, dass unsere beiden Kinder sich haben und so toll zusammen spielen.

Eine ganz wichtige Sache noch: UNSERE Schule war auf den Lockdown super vorbereitet! Sie geben ihr Bestes! Machen ihren Job. Das hier ist kein Lehrerbashing.

P.S.: Danke Kitty für Dein Zuhören und mit mir reden heute Vormittag, Du hast meine Gedanken in die richtige Richtung gelenkt!

P.P.S.: Sie haben einen tollen Iglu bei der Nachbarin im Vorgarten gebaut: 🙂

P.P.P.S.: Wir stehen abends in der Küche, lachen und mein Mann sagt: „Ich mach jetzt auch nen Blog: Wer schreit, hat unrecht.“ 😉

Judith

Künstlermanagerin, Lebensgestalterin, Familienmanagerin

2 Comments

  1. 😂 Ich kann es so gut nachempfinden… meine Zündschnurr war gestern auch sooooo kurz, dass ich im Auto komplett ausgeflippt bin …. total unnötig im Nachhinein… und ich darf arbeiten gehen… will gar nicht wissen wie ich wäre wenn ich homeoffice hätte 🤪🤪🤪🤪

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